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HINTERGRUND
CO
Was
klirrt
da?
Was versteht man eigentlich unter „Verzerrungen", und
warum klingt mancher messtechnisch klar schlechtere
Varstärker mitunter deutlich besser und musikalischer
«Is ein anderer, laut Labor „ehrlicherer"? Hier stehen
die Antworten
D
ie HiFi-Technik hat heu-
teeinen sehr hohen Stand
erreicht, so dass man die
lii/tcn. minimalen technischen
Unzulänglichkeiten bei den meis-
ч n Geräten, wenn überhaupt, eher
messen als unmittelbar hören und
»ahmehmen kann. Wohlgemerkt,
hier ist von Technischen Daten in
Prozent und Dezibeln die Rede,
nicht jedoch von der Klangqualität
an sich.
hin Musiksignal kann auf vcr-
K hiedene Arten beeinträchtigt
к іп. Man unterscheidet beispiels-
weise lineare Verzerrungen, also
icine Amplitudenfehler im Fre-
•luenzgang, und nichtlineare. Da-
mi kommt Rauschen. Außerdem
wird auch noch zwischen harmo-
nischen und nicht harmonischen
(Dissonanten) Verzerrungen diffe-
(Wiziert.
Unter Klirr, Klirrfaktor oder
Klirrverzerrungen im weiteren
Sinne versteht man jede Art der
nichtlinearen, also die Kurven-
lurin des Originalsignals verän-
dernden bis zerstörenden Verzer-
rungen, aufsummiert zum Ge-
Mintklirrfaktor (THD=Total Har-
monie Distortion). Enger gefasst
Kt mit Klirr die Entstehung von
(ganzzahligen) Oberwellen ge-
meint. die dem Originalsignal bei-
femischt werden.
Werden nun beispielsweise 100
Hertz übertragen, so fügt allein
das Durchlaufen der nichtlinearen
Bauteile eines Verstärkers mehr
ptlcr minder niedrige und dazu
Buch erheblich leisere Zusatzan-
t|vilc von 200 (2. Harmonische),
WO (3. Harmonische). 400. 500
and so weiter Hertz hinzu.
Als klanglich elementar gilt ge-
;f»dc die spektrale Zusammenset-
zung des Klirrs, denn harmoni-
sche Verzerrungen gerader Ord-
nung (also z.B. doppelte, vier-,
sechs- oder achtfache Frequenz.)
»klingen« erheblich angenehmer
als solche ungerader Ordnung,
was logisch ist. weil ein Verhältnis
von 1:2 exakt einem Oktavsprung,
also einer vollen Tonleiter ent-
spricht. Zur Veranschaulichung:
Schlägt man beim Klavier ein tie-
fes und ein hohes C gleichzeitig
an, so tönt das fürs Ohr durchaus
angenehm und schlüssig, denn es
handelt sich ja letztlich um den
gleichen Ton, lediglich die Ton-
höhe ist unterschiedlich. Versu-
chen Sie das mal mit C und F!
Nicht selten klingt ein dezent
und
entsprechend
abgestimmt
»klirrender« Verstärker mit gerin-
gen ungeradzahligen und mit auf-
steigender Ordnung sanft abfal-
lenden Klirranteilen sogar farbi-
ger und satter, das hat mit »Zer-
ren« nichts zu tun, es handelt sich
eher um absichtliche Verfärbung,
»Klangtuning«. wenn man so will.
So gilt 1
Prozent Klirr (40 dB
Klirrdämpfung) als hoch, doch
Uber den resultierenden Klang
sagt das nicht viel. Hat ein Verstär-
ker mit hohem Klirrfaktor viel k 2
(Harmonische Verzerrungen 2.
Ordnung) und wenig k3, kann er
insgesamt durchaus viel besser
klingen als einer mit insgesamt
weniger, aber ungünstig abgestuf-
tem Klirr. STEREO sind des Öfte-
ren Verstärker begegnet, die mess-
technisch nicht gut waren, ja mit-
unter nicht einmal die alte DIN
45500 aus den 60er Jahren er-
reichten. aber klanglich durchweg
überzeugen konnten.
Meist sind dies Röhren- oder Hy-
brid-Konzepte, bei denen gute Ver-
zerrungswerte offenbar ohnehin
schwieriger zu erreichen sind, die
aber nichtsdestotrotz superb klin-
gen (können). Nicht z.u verwech-
seln sind solche schönfärbenden
„Verzerrungen“ - und das sind und
bleiben sie im Sinne der Original-
treue - mit dem hochschnellenden
Klirr an der Übersteuernngsgren-
ze, dem so genannten Clipping.
Wenn der Verstärker an seinen
Leistungsgrenzen
„verhungert"
und das Signal aufgrund zu gerin-
ger Leistung kappt, klingt das
ganz fürchterlich und gefährdet
sogar den Lautsprecher mehr als
kräftigere, saubere Impulse.
Unter Intermodulation wiede-
rum versteht man in Abgrenzung
zum Klirr die nicht harmonischen
Verzerrungen, bei denen durch
Amplituden- oder Frequenzmodu-
lation Summen- und Differenzsig-
nale erzeugt und hinzugefügt wer-
den, die im Original nicht vorhan-
den waren. So entstehen etwa aus
100 Hertz und 2 Kilohertz zusätz-
lich unter anderem 2100 und 1900
Hertz. Auch mit Intermodulatio-
nen wird mitunter gezielt gespielt,
etwa um einen Verstärker forscher,
strammer und schneller, sprich
zackiger oder auch mal blumiger
wirken zu lassen.
Spezielle Intermodulationsarten
wie etwa die so genannten TIM-
Verzerrungen - der Amp reagiert
dann träge auf signalbedingten
Strombedarf (schnelle Impulsfol-
gen) und verzerrt - zählen eben-
falls zu den nichtlinearen Ver-
zerrungen. Diese dynamischen
Verzerrungen durch Überforde-
rung. die nie gut klingen. lassen
sich nur durch schnelle Schal-
tungsauslegung mit hohen An-
stiegs- und Fallgeschwindigkeiten
(Slew
Rate)
sowie
möglichst
kurzen
Reaktionszeiten
(Rise
Time) vermeiden.
Links: Klirr (THD) aut dem Zweika-
nal-Oszilloskop sowie auch der
verformte Sinus sind erkennbar.
Rechts: Originalsignal (rot) und
harmonische (Klirr-) Verzerrung
zweiter (gelb), dritter, (grün) und
vierter Ordnung (blau)
Um Verzerrungen zu verringern,
wird bei Amps oft zum Allheilmit-
tel Gegenkopplung gegriffen. Das
aber funktioniert wiederum nur
bei den statischen Verzerrungen,
für die dynamischen Fähigkeiten
und damit letztlich die Klangqua-
lität kann jede Übertreibung bei
der Gegenkopplung böse nach
hinten losgehen.
STEREO HIFI-JAHRBUCH 2007 77